- Mon 29 September 2014
- Simon Dreher
- Linux
- Tags: linux, smartphone, jolla, sailfish
Mein altes Smartphone kam so langsam in die Jahre und nach kurzer Abwägung zwischen Nexus 5, OnePlus One und Jolla entschied ich mich für letzteres und will hier meinen ersten Eindruck sowie die Erfahrungen nach 100 Tagen wiedergeben.
Hardware
Das Jolla-Phone liegt vom Preis her ungefähr bei einem Nexus 5, hat jedoch weniger eingebauten Speicher, eine schlechtere Auflösung sowie weniger Rechenleistung. Dafür hat das Jolla einen SD-Karten-Platz und einen wechselbaren Akku. Vor allem der SD-Speicher ist für mich ein wichtiges Feature, ich verstehe nicht, warum das Verwenden einer Speicherkarte für Android-Nutzer zu verwirrend sein sollte. Das eigentliche Alleinstellungsmerkmal des Jolla ist jedoch die "Other Half", die wechselbare Akkuabdeckung, die mit dem Telefon kommunizieren kann. Bis jetzt gibt es noch kaum marktreife "Andere Hälften", es sind aber schon mehrere in Entwicklung, zum Beispiel eine ausziehbare Tastatur.
Software
Eine weitere Besonderheit ist das Betriebsystem: Sailfish OS. Es ist eine Linuxdistribution, die sehr große Ähnlichkeit mit einer normalen Distribution für den Desktop hat und oft auf die neuesten Programme setzt. Nebenbei hat man damit natürlich die Hoffnung, dass man damit ein NSA-freies Telefon hat.
Erstes Einschalten
Nach dem ersten Einschalten kommen wie auch bei Android-Telefonen einige Einstellungen und eine Einführung. Auf der eigentlichen Oberfläche angekommen folgt erst einmal Ernüchterung: es gibt genau 9 vorinstallierte Applikationen. Nach kurzem Nachdenken macht es allerdings durchaus Sinn, das Telefon nicht vollzustopfen und ist eine willkommene Abwechslung zu den üblichen Samsung-Android-Telefonen mit drölfzig schrottigen Apps. Ein Blick in den Jolla-Store zeigt, dass zumindest die grundlegenden Anwendungen alle vorhanden sind und einfach nach Bedarf nachinstalliert werden können. Die Bedienung erfolgt mit Gesten, die man mit Hilfe der Einführung recht schnell lernt und danach nicht mehr missen möchte. Im Gegensatz zu meinem Android-Telefon, und auch den meisten anderen, die ich kenne, treten keine Ruckler auf, obwohl die Rechenleistung nicht unbedingt üppig ist.
Kalender
Mein Radicale Server ließ sich ganz leicht einbinden. Etwas ungewohnt ist, dass Konten nicht in der jeweiligen App eingerichtet werden, sondern in den ganz normalen Einstellungen. Darum geht man einfach in die Einstellungen und kann dort ein neues Konto hinzufügen und zwar ein CalDAV-Konto. Dort "General CalDAV" auswählen und dort Benutzername und Passwort eingeben. Als Serveradresse den Namen des Servers inklusive Protokoll eingeben und als Serverpfad die Ordner. Beispielsweise also "http://calendar.example.net" als Servername und $Name/$Kalender/ als Pfad. Nach einer kurzen Wartezeit kommen die Termine dann auch in der Kalender-App an.
Für Kontalte gibt es bisher leider noch keine Möglichkeit, sie über CardDAV zu synchronisieren, sondern nur über Microsoft Exchange.
Auch E-Mail-Accounts lassen sich genauso einfach einrichten, einfach unter den Einstellungen hinzufügen, die üblichen Angaben wie bei einem normalen Desktop-Client machen und schon können die Mails mit der Mail-App abgerufen werden.
Bei mir zeigte die App merkwürdigerweise mehrere schon gelöschte Mails an, die schon vor dem ersten Sync gelöscht worden waren. Wenn man in Thunderbird den entsprechenden Ordner komprimiert oder Thunderbird neu startet verschwinden die gelöschten Mails auch im Jolla-Client. Anscheinend ignoriert Jolla das Gelöscht-Flag.
Wie viele, die sich das Jolla-Phone gekauft haben, gehöre auch ich zu den Privatsphäre- Paranoikern. Deshalb war mir WhatsApp bisher immer suspekt (abgesehen von dem absolut grottigen Interface). Für Sailfish gibt es dagegen einen alternativen Client: Mitäkuuluu. Dieser hat den großen Vorteil, dass es nicht einfach alle Kontakte zu WhatsApp hochlädt, sondern man kann auswählen, welche gesynct werden. Da Mitäkuuluu leider (noch) nicht im normalen Jolla-Store zu finden ist muss man dafür die Installation von Fremdsoftware erlauben und den OpenRepo-Paketmanager installieren. Darin findet man dann die Mitäkuuluu-App und andere, wie zum Beispiel gpodder. Die Einrichtung von mitäkuuluu funktioniert ähnlich wie beim normalen WhatsApp: Nummer, Name und Passwort eingeben, auf Verifikations-SMS warten und Kontakte hinzufügen.
Hinweis: Inzwischen wurden mehrere Mitäkuuluu-Nutzer gebannt und deshalb die App aus OpenRepos herausgenommen. Der normale Client funktioniert über die Android-Runtime jedoch auch und konnte zumindest bei mir zunächst nicht auf die Kontakte zugreifen, sondern erst nach einem Neustart.
Jabber
Für die Kontakte, welche nicht bei WhatsApp sind braucht man natürlich auch noch eine Kommunikationsmöglichkeit. Bei mir haben diese alle einen Jabber-Account, so dass auf dem Telefon natürlich nach Möglichkeit auch ein Jabber-Account eingerichtet werden sollte. Wie sich herausstellte war dies allerdings deutlich schwieriger als die vorherigen Apps. In den Einstellungen kann man ganz einfach ein XMPP-Konto hinzufügen. Damit hört der einfache Teil aber auch schon auf: keine Ahnung, ob ich online bin, keine Ahnung wo das Konto verwendet werden kann. Eigentlich sollte sich das Telefon mit dem Jabber-Server verbinden, die Kontakte herunterladen und in die eigenen Kontakte einfügen. Mit der Nachrichten-App sollte man dann Jabber- Nachrichten versenden und empfangen können. Nach einiger Suche fand ich auch, wo man den Status des Kontos ansehen kann: Im Notification-Bereich findet man im Pull-Down-Menü den Status und kann ihn auch ändern. Bei mir werden allerdings nicht einmal Konten angezeigt, bei denen der Status geändert werden kann. Auch einige Threads auf together.jolla.com halfen nicht weiter (sonst übrigens eine großartige Informationsquelle). Ein Neustart half auch nichts, löschen und wieder hinzufügen auch nicht. Ein Blick in meine Serverlogs zeigte, dass dieser eine Verbindung angenommen hatte, das Jolla versuchte allerdings nach wenigen Sekunden eine neue Verbindung, also wird wohl irgendetwas nicht geklappt haben. Zum Glück gibt es auf dem Jolla eine Konsole (taucht auf, sobald man den Entwickler-Modus aktiviert). Damit sagte telepathy/gabble mir dann mal, dass es mit dem TLS nicht zufrieden ist. Bis jetzt konnte ich leider noch nicht herausfinden, wie das Problem zu lösen ist.
Podcasts
Für Podcasts kann man bei openrepos.net gpodder herunterladen und damit Podcasts abonnieren. Zuerst war ich von der App enttäuscht, denn der Funktionsumfang sieht sehr klein aus. Nach etwas ausprobieren stellt man dann fest, dass sämtliche Funktionen in den Pull-Down-Menüs versteckt sind. So lässt sich zum Beispiel damit nach neuen Episoden suchen (leider nur manuell). Die neuen Episoden kann man dann mit Hilfe von "Filter Episodes" anzeigen lassen und dort manuell herunterladen. Im dortigen Pull-Down-Menü kann man dann wiederum den Filter ändern und beispielsweise alle noch ungehörten, heruntergeladenen Podcasts anzeigen. Was leider trotzdem fehlt ist die Möglichkeit, OPML-Dateien zu importieren oder sich die Liste aus seinem gpodder.net-Account zu holen. Immerhin werden Shownotes und Kapitelmarken unterstützt. gpodder ist damit zwar benutzbar, es wäre aber schön, wenn die Bedienung noch intuitiver gestaltet würde.
Weitere Apps
Man kann aber bisher auch gut den kompletten Jolla-Store durchschauen und alle Apps installieren, die interessant aussehen. Es hat auch Vorteile, wenn es wenige Apps gibt ;-)
Aussehen
Ein nettes Gimmick sind die Ambiente. Damit kann man ein beliebiges Bild als Hintergrundbild festlegen und davon werden passende Farben für die UI-Elemente abgeleitet.
Android-Apps
Gerade jetzt, wo es noch nicht Hunderttausende von Apps für Sailfish gibt, ist es praktisch, dass man auch Android-Unterstützung nachinstallieren kann. Leider fallen diese Apps natürlich auf, da sie sich nicht in das Look&Feel einfügen, es sind nicht alle Apps im Store verfügbar und auch die verfügbaren funktionieren nicht reibungslos, sondern stürzen manchmal ab, wenn sie mit dem Betriebsystem interagieren.
Sehr praktisch ist es allerdings, K-9 Mail zu installieren, falls man dringend Push-Mail bzw. IMAP-Idle benötigt, solange der native Client das nicht kann. Man muss dann eben damit leben, die unschöne Android-Oberfläche zu benutzen. Sinnvoll ist auch der VLC Videoplayer, denn der eingebaute spielt nicht alles ab, beim Video schauen sieht man die Android-Oberflache sowieso nicht und der VLC nutzt sogar Gesten zur Steuerung, so dass man sich fast schon wieder wie bei Sailfish fühlt.
LPM
LPM steht für Low Power Mode und steht für etwas, das sich vor allem die Jolla-Nutzer, die vom N9 umgestiegen sind, gewünscht haben. Dort werden nämlich immer die Uhrzeit und grundlegende Informationen angezeigt, ohne dass man den Bildschirm extra anschalten muss. Beim Jolla geht das aufgrund der Bildschirmtechnik zwar nicht genau so, doch kann man mit dieser Anleitung
devel-su
<Passwort>
pkcon update
pkcon install mce-tools
mcetool --set-low-power-mode=enabled
den Näherungssensor dazu verwenden, dass immer wenn das Display nicht mehr abgedeckt ist für 10 Sekunden die Uhrzeit usw. angezeigt.
Nach 100 Tagen
Einziges Problem, das bei mir bis jetzt aufgetaucht ist, ist eine endlose Neustartschleife, die manchmal auftritt, wenn man längere Zeit kein Netz hatte und dann wieder eine Mobilfunkdatenverbindung bekommt. Dieser Fall tritt allerdings selten auf und lässt sich durch unterbrechen der Stromversorgung wieder beheben.
Fazit
Das Jolla-Phone ist gut benutzbar, wenn es auch natürlich noch nicht perfekt ist und an einigen Stellen noch verbessert werden kann. Die Gestensteuerung ist großartig und schon nach kurzer Zeit so in mein Blut übergegangen, dass ich kein normales Android-Telefon bedienen kann ohne irgendwelche Wischgesten zu versuchen. Die Software wird sich mit der Zeit wahrscheinlich noch verbessern und im Gegensatz zu Android bekommt man sogar Updates! Was mich bisher mehr stört sind fehlende Hardware wie NFC oder dass es bis jetzt leider noch keine Tastatur dafür gibt. Aber man kann hoffen dass sich daran ja noch etwas ändert...